AN DIE NACHGEBORENEN

Gedichte über Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung
und Kompositionen von Hanns Eisler nach Texten von Bertolt Brecht.

Julia Barthe, Gesang
Gerd Jordan, Klavier
Inés Fabig, Rezitation
Andre Rebstock, Idee

Dieses Programm haben wir erstmals Anfang 2019 anlässlich des Gedenktages zur Befreiung von Auschwitz am 27.1.1945 aufgeführt.
Am 27. Januar 2021 haben wir aus dem Lübecker Dom den Stream eines Programmes gesendet, welcher nun bei Youtube verfügbar ist:
https://youtu.be/tzxia28R9B0

Seit 2019 sind Inés Fabig, Gerd Jordan und ich mit unseren Veranstaltungen gegen Faschismus und Krieg unterwegs. Sie enthalten Gedichte über Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung
von Sarah Kirsch, Marie-Luise Kaschnitz, Paul Celan und anderen Betroffenen,
und Kompositionen von Hanns Eisler nach Texten von Bertolt Brecht.
Konzipiert haben wir diese Programme gemeinsam mit Andre Rebstock, um eine Antwort auf die Frage zu geben, warum man sich heute noch mit den ungeheuerlichen Geschehnissen Mitte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen sollte.
Die Texte sind verstörend, aber wir möchten emotional erlebbar machen, was Menschen Menschen antun können, angetan haben, und, das ist das Erschütternde, immer weiter antun.

Im Laufe der letzten Jahre haben unsere Programme eine fürchterliche Aktualität bekommen.
Brecht und Eisler schrieben ihre Lieder als Exilanten in den USA, während in Europa Vernichtungskrieg und Nazi-Terror wüteten.
Die Texte, die Sie heute hören werden, handeln aber nicht mehr nur von einer fernen Vergangenheit.
Neue Daten brennen sich in die Geschichtsbücher: Der 24. Februar 2022 und der 7. Oktober 2023 stehen für den Beginn von Kriegen, die uns alle betreffen und erschüttern.
Wenn man „Gewalt gegen Juden“ googelt, öffnen sich nicht mehr Verweise auf historische Ereignisse, sondern Berichte über aktuelle Geschehnisse.
Heute, hier in Deutschland, fast 80 Jahre nach dem Holocaust, treten wieder Rechtsradikale einen Siegeszug an, geschichtsvergessen und selbstbewusst.
Die Wahlergebnisse 2024 in den „neuen Bundesländern“ und die Ereignisse im Bundestag Ende Januar sind schockierend.
Nach der Präsidentschaftswahl in den USA wird das Gefüge sicherer, verlässlicher Bündnisse auf eine harte Probe gestellt.

Mittlerweile sind etliche Sätze der Gedichte mit hoch aktuellen Bildern verbunden, das ist bestürzend!
Wir hören von „Richtern, die zu allem bereit sind“ und denken an die USA,
Bei „Sie schossen ihre Pistolen in jeden besseren Kopf“ fällt uns Walter Lübcke ein
„Im Gefängnis zu singen“ erinnert an den Tod von Alexey Nawalny,
und in dem titelgebenden Lied „Ändere die Welt“ – wird die Frage gestellt: „Mit wem säße der Rechtliche nicht zusammen, dem Rechte zu helfen?“ – über diese Frage kann man in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen lange nachdenken.

Unser Programm appelliert an die „Nachgeborenen“, also an uns, das, was geschehen ist, nie zu vergessen, nicht zu schweigen und alles in unseren Kräften Stehende zu tun, derartige Entwicklungen zu bekämpfen und zu verhindern.

Im Mai 2019 saß in einer unserer Aufführungen Esther Bejerano keine drei Meter vor mir.
Nie in meinem langen Sängerleben habe ich so sehr an dem gezweifelt, was ich mache – vor allem die “Ballade der Judenhure Marie Sanders”, eines der ganz großen Lieder von Esther Bejerano, stand mir regelrecht bevor.
Wer bin ich, diese Lieder zu singen, die ich keine Ahnung habe, was die Menschen in den 30er und 40er Jahren durchgemacht haben?! Ich wollte auf keinen Fall aufgesetzte Betroffenheit “verkaufen” und habe in diesem Moment alles gegeben, was mir an Empathie zur Verfügung steht.
Es hat mich über alle Maßen berührt, dass Esther Bejerano im Anschluss an dieses Lied “Bravo” rief (was eigentlich in diesem Programm nicht angebracht ist). Das war für mich wie ein “Ritterschlag”. Die nächsten Lieder konnte ich nur unter Tränen singen.
Mir wurde bewusst, wie wichtig es ist, diese Texte und diese Musik weiterzutragen und sie an die kommende Generation weiterzugeben.
Zum Nachhören gibt es die “Ballade” als Klangbeispiel:​ https://www.julia-barthe.de/klangbeispiele